
Technische Leiter, Facility Manager und öffentliche Auftraggeber stehen unter doppeltem Druck: Sie müssen den sicheren Betrieb komplexer Bestandsgebäude sicherstellen – und zugleich Haftungs- und Kostenrisiken beherrschen. In vielen Fällen wird ein Gutachter für Elektrotechnik erst dann gerufen, wenn der Schadensfall Elektrotechnik bereits eingetreten ist: ausgefallene Verteilungen, überlastete Leitungen, fehlerhafte Notstromkonzepte oder „TGA-Chaos“ in überfüllten Technikräumen.
Aus der Sicht eines öffentlich bestellten Elektrosachverständigen zeigt sich dabei ein klares Muster: Die meisten Schäden haben ihre Ursache nicht in der Ausführung, sondern viel früher – in einer unzureichenden oder schlecht koordinierten TGA-Fachplanung.
In Kürze: Wie Sie aus Schadensfällen präventive Strategien ableiten
- Die häufigsten Elektroschäden resultieren aus Planungsfehlern: Überlast, fehlende Selektivität, unzureichende Sicherheitsstromversorgung, mangelnde Koordination der Gewerke.
- Ein TGA-Sachverständiger kann diese Risiken bereits in der Planungs- und Ausschreibungsphase identifizieren – bevor Folgekosten und Haftungsfragen entstehen.
- BIM-Gesamtkoordination, digitale Kollisionsprüfung und revisionssichere Dokumentation sind heute die wirksamsten Instrumente, um TGA-Risiken in komplexen Gebäuden zu reduzieren.
- Betreiber profitieren doppelt: höhere Versorgungssicherheit und klar dokumentierte Verantwortlichkeiten gegenüber Versicherern und Aufsichtsbehörden.
Typische Schadensfälle in der Elektrotechnik – Erfahrungen aus der Gutachterpraxis
1. Überlastete Verteiler und fehlende Selektivität
Ein klassischer Fall aus der Praxis des TGA-Gutachters:
- In einem Bestandsgebäude wurden sukzessive neue Verbraucher (IT, Lüftung, Ladepunkte) auf bestehende Unterverteiler gelegt.
- Die ursprüngliche Auslegung der Stromkreise war nie für diese Last konzipiert.
- Selektivität und Abschaltbedingungen wurden bei Umbauten nicht neu berechnet, Kurzschlussströme nicht geprüft.
Folgen:
- wiederkehrende Auslösungen von Schutzorganen bis in die Hauptverteilung,
- unklare Fehlerbilder, Stillstand kritischer Anlagen,
- im Extremfall Brandereignisse mit Gutachter- und Versicherungsbeteiligung.
Aus Gutachtersicht wäre ein Großteil dieser Schäden vermeidbar gewesen – durch eine systematische Fachplanung Elektrotechnik mit Lastberechnung, Selektivitätsnachweisen und sauberer Dokumentation der Umbauten.
2. Unzureichende Notstrom- und Sicherheitsstromversorgung
Gerade in öffentlichen Gebäuden, Rechenzentren, Verwaltungen und Schulen ist eine zuverlässige Sicherheitsstromversorgung zwingend. Typische Befunde im Gutachten:
- Notstromaggregate oder USV-Anlagen sind vorhanden, aber nicht auf die tatsächliche Last abgestimmt.
- Sicherheitsstromkreise sind nicht normkonform getrennt, Beschriftungen sind unvollständig oder widersprüchlich.
- Erweiterungen wurden im Bestand „angeflanscht“, ohne die Gesamtkonzeption zu überarbeiten.
Konsequenzen:
- Im Störfall versagen genau die Anlagen, die funktionieren müssten (Brandmeldeanlage, Rauchabzug, IT-Kernsysteme).
- Betreiber geraten gegenüber Aufsichtsbehörden und Versicherern in Erklärungsnot.
Ein Elektrosachverständiger betrachtet hier immer das Gesamtsystem: von der Einspeisung über Ersatz- und Sicherheitsstromversorgung bis hin zur Kennzeichnung und Prüfdokumentation.
3. Kollisionsprobleme im Technikraum und „TGA-Chaos“
Ein weiteres typisches Gutachterthema sind Kollisionsprobleme zwischen den Gewerken:
- Kabeltrassen konkurrieren mit Lüftungskanälen, Sprinklerleitungen und statischen Bauteilen um den gleichen Platz.
- Nachträgliche „Lösungen“ führen zu unzulässigen Biegeradien, zu wenig Reserven in Trassen oder schwer zugänglichen Verteilungen.
- Schaltschränke können nicht in vorgeschriebenem Abstand bedient oder gewartet werden.
Die Folge: Ein dauerhafter Verstoß gegen Normen und Herstellerangaben, der im Haftungsfall detailliert im Gutachten dokumentiert wird – und sich häufig bis in die TGA-Planung zurückverfolgen lässt.
Wo Fehler in der TGA-Fachplanung entstehen
Aus Sicht des TGA-Sachverständigen lassen sich die Ursachen technischer Schäden häufig auf wenige, wiederkehrende Muster verdichten:
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Unzureichende Bestandsaufnahme
- Fehlende oder veraltete Pläne.
- Keine systematische Prüfung der vorhandenen Lastreserven und Schutzkonzepte.
-
Planung im Maßstab 1:500 – Ausführung im Maßstab 1:1
- 2D-Zeichnungen ohne räumliche Kollisionserkennung.
- Gewerke planen nebeneinander, aber nicht miteinander.
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Unscharfe Betreiberanforderungen
- IT-Lasten, E-Mobilität, spätere Erweiterungen werden nicht oder nur pauschal berücksichtigt.
- Sicherheits- und Verfügbarkeitsziele bleiben unklar.
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Fehlende Gesamtverantwortung für die TGA
- Einzelgewerke werden beauftragt, ohne klare Instanz für die BIM-Gesamtkoordination bzw. TGA-Koordination.
- Abhängigkeiten zwischen Elektrotechnik, HLK, Brandschutz und Statik werden nicht konsequent gesteuert.
Das Ergebnis zeigt sich später im Gutachten: Viele Einzelentscheidungen waren für sich betrachtet plausibel – im Zusammenspiel führen sie jedoch zu einem hohen Risiko.
Vom Gutachten zur Prävention: Fünf Hebel für weniger Risiken
Die gute Nachricht: Was in Gutachten immer wieder als Fehlermuster beschrieben wird, lässt sich systematisch in präventive Maßnahmen übersetzen.
1. Frühzeitige Einbindung eines TGA-Sachverständigen
Ein TGA-Gutachter oder Gutachter Elektrotechnik sollte nicht erst im Streitfall, sondern idealerweise bereits in folgenden Phasen eingebunden werden:
- Voruntersuchung von Bestandsgebäuden (Due Diligence, Machbarkeitsstudien).
- Konzept- und Entwurfsplanung für kritische Infrastrukturen.
- Überprüfung von Ausschreibungsunterlagen bei komplexen Projekten.
So lassen sich Planungsrisiken transparent machen, bevor sie zu Bau- oder Betriebsschäden werden.
2. BIM-Gesamtkoordination statt TGA-Insellösungen
Mit einer durchgängigen BIM-Gesamtkoordination (bzw. „bim gesamtkordination“ als Suchbegriff) entsteht ein gemeinsames, IFC-basiertes Modell, in dem alle Gewerke zusammengeführt werden:
- Räumliche Kollisionsprüfung in 3D vor der Bauausführung.
- Durchgängige Datenbasis für Elektro, HLK, Sprinkler, Statik.
- Bessere Nachvollziehbarkeit von Umbauten im Lebenszyklus des Gebäudes.
Für Betreiber und öffentliche Auftraggeber bedeutet das: deutlich mehr Transparenz und Planungs- sowie Kostensicherheit.
3. Normgerechte Fachplanung Elektrotechnik mit Prüfroutinen
Eine belastbare Fachplanung Elektrotechnik umfasst heute mehr als nur Stromlaufpläne:
- Lastberechnungen und Reservenachweise.
- Selektivitäts- und Kurzschlussberechnungen.
- Dimensionierung von Ersatz- und Sicherheitsstromversorgung.
- Definition von Prüf- und Wartungskonzepten bereits in der Planungsphase.
Digitale Planungswerkzeuge und automatisierte Berechnungen reduzieren Fehlerquoten und schaffen nachvollziehbare Ergebnisse – ein zentraler Punkt in jedem Gutachten.
4. Digitale Kollisionsprüfung und Simulation
Insbesondere in Bestandsbauten mit begrenzten Technikflächen ist eine BIM-gestützte Kollisionsprüfung entscheidend:
- Prüfung von Trassenführungen und Biegeradien im Modell.
- Simulation von Erweiterungsszenarien (z. B. zusätzliche IT-Racks, Ladeinfrastruktur).
- Optimierung von Technikflächen, bevor bauliche Maßnahmen beauftragt werden.
So lassen sich die später im Gutachten beschriebenen TGA-Konflikte bereits in der Planung auflösen.
5. Revisionssichere Dokumentation und Betreiberunterstützung
Viele Haftungsfragen entstehen, weil Unterlagen lückenhaft, widersprüchlich oder nicht mehr auffindbar sind. Prävention bedeutet daher auch:
- Zentrale, digitale Ablage aller Pläne, Schemata, Berechnungen und Prüfprotokolle.
- Einheitliche Struktur und Versionierung der Dokumente.
- Schulung und Unterstützung des Facility Managements im Umgang mit der Dokumentation.
Revisionssichere Unterlagen sind im Schadensfall die wichtigste Grundlage, um Verantwortlichkeiten sauber zuzuordnen – und im Idealfall zu zeigen, dass Betreiberpflichten erfüllt wurden.
Projektrettung: Wenn der Schadensfall schon eingetreten ist
Nicht jedes Projekt startet auf der sprichwörtlichen „grünen Wiese“. Häufig wird der Elektrosachverständige erst hinzugezogen, wenn:
- Bauabläufe ins Stocken geraten,
- wiederkehrende Störungen den Betrieb beeinträchtigen oder
- Behörden und Versicherer kritische Fragen stellen.
In solchen Fällen kann eine digitale Projektrettung helfen:
- Systematische Analyse der bestehenden TGA-Planung und Ausführung.
- Überführung der relevanten Bestandsinformationen in ein BIM-Modell.
- Kollisionsanalyse, Nachberechnung der Elektrotechnik, Bewertung von Sicherheitsstromkonzepten.
- Entwicklung eines priorisierten Maßnahmenplans: von kurzfristigen Betriebssicherungsmaßnahmen bis zu mittelfristigen Umbauten.
So entsteht aus einem akuten Problem eine strukturierte Roadmap zur Risikoreduzierung – mit klaren Entscheidungsgrundlagen für Eigentümer, Betreiber und öffentliche Auftraggeber.
Fazit: Vom Gutachterfall zur planbaren Sicherheit
Für technische Leiter, Facility Manager und öffentliche Auftraggeber gilt:
- Jeder Schadensfall Elektrotechnik liefert wertvolle Hinweise darauf, wo Planungs- und Koordinationsprozesse nicht ausreichend waren.
- Ein frühzeitig eingebundener TGA-Sachverständiger und eine konsequente BIM-TGA-Planung verwandeln diese Erfahrungen in messbare Prävention.
- Digitale TGA-Planung 4.0 mit BIM-Gesamtkoordination, automatisierten Berechnungen und revisionssicherer Dokumentation reduziert nicht nur Haftungsrisiken – sie erhöht die Betriebs- und Zukunftssicherheit Ihrer Liegenschaften.
Wenn Sie Bestandsgebäude betreiben, vor einer Sanierung stehen oder ein komplexes Neubauprojekt verantworten, lohnt sich der Blick durch die „Gutachterbrille“ bereits vor dem ersten Spatenstich. So wird aus dem möglichen Schadensfall ein kontrollierbares Risiko – und aus TGA-Komplexität ein transparent gesteuerter Prozess.
FAQ: Häufige Fragen zu TGA-Gutachten und Prävention
Was macht ein Elektrosachverständiger konkret?
Ein Elektrosachverständiger erstellt Gutachten zu Schäden, Mängeln oder Streitfällen in der Elektrotechnik. Gleichzeitig kann er präventiv unterstützen, indem er Planungen prüft, Ausschreibungen bewertet und Betreiber bei der Bewertung von Risiken berät.
Wann lohnt sich ein TGA-Sachverständiger in der Planung?
Immer dann, wenn Gebäude technisch komplex sind, hohe Verfügbarkeitsanforderungen erfüllen müssen oder rechtlich besonders sensibel sind (z. B. Schulen, Feuerwachen, Rechenzentren, Verwaltungsgebäude). Je früher ein TGA-Gutachter in die Planung einbezogen wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit späterer Nachträge und Streitfälle.
Wie hilft BIM bei der Vermeidung von TGA-Schäden?
BIM schafft ein gemeinsames, digitales Gebäudemodell, in dem alle Gewerke koordiniert werden. Kollisionsprüfungen, Berechnungen und Simulationen können frühzeitig durchgeführt werden. Das reduziert Planungsfehler, verbessert die Abstimmung zwischen den Beteiligten und schafft eine belastbare Dokumentation für den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes.